Die Sache mit dem Leitbild

GF-Tagebuch #12

Vor einiger Zeit sprach mich eine noch in Ausbildung befindliche Mitarbeiterin am Rande einer TeamsprecherInnen-Runde an. Sie bräuchte für die Schule das Leitbild unseres Vereins. Ob ich ihr das bitte mal mailen würde……. Upps –  kalt erwischt….. In den ersten 18 Jahren unseres Bestehens haben wir es nicht geschafft, ein Leitbild zu erarbeiten….. – und irgendwie gings ja auch immer ohne. Diese Blöße wollte ich mir aber nicht geben – und sagte ihr zu, dass ich ihr „da mal was zuschicken würde….“ In der Folge habe ich mit einer Kollegin zusammen versucht, im Eiltempo ein Leitbild zu erarbeiten. Wir nahmen uns ein paar Muster von befreundeten Organisationen vor, kopierten, schrieben ab, ergänzten und kürzten und  fügten noch  ein paar vorhandene Textbausteine aus vorliegenden Texten ein. Das ganze schön in Form gebracht – machte eine prima Eindruck. Wir hatten ein Leitbild!

© Denis Junker - Fotolia.com

© Denis Junker – Fotolia.com

Das ganze Werk (1 DIN A 4 Seite) mailte ich an die Kollegin – und freute mich, eine scheinbar komplizierte Aufgabe so schnell erledigt zu haben…. Siegesgewiss stellte ich unser neues Leitbild auch gleich in unser internes Firmennetzwerk ein.
Als ich die Kollegin das nächste Mal traf, fragte ich (mit meinem berühmten Siegerlächeln im Gesicht), ob sie das Leitbild erhalten  und in der Schule vorgestellt hätte. Sie sah mich unsicher an, druckste ein bisschen herum … … und antwortete dann sinngemäß: Ja ist angekommen – aber sie  habe es in der Schule nicht abgegeben. „War mir peinlich.“ ….. Upps. Schon wieder kalt erwischt. Alles zu allgemein, hat nicht mit uns, nichts mit unserem Verein zu tun. Sie findet sich darin nicht wieder. Sieht aus, wie irgendwo abgeschrieben….. Upps. Das dritte mal kalt erwischt……

Ich fragte in unseren interenen Runden nach, wie die Kolleginnen und Kollegen das sehen würde. Gleiche Reaktion. „Lauter Selbstverständlichkeiten“, „hat nichts  mit uns zu tun“, „alles austauschbar“, „hat keine Seele“….. Die MitarbeiterInnen waren nicht zufrieden. Und sie meldeten an, dass sie beteiligt werden möchten an der Entwicklung eines Leitbildes……


Nach dem ich mich von diesem  Feedback erholt hatte (an manchen Punkten, bin ich ja doch ein bisschen eitel 😉 , habe ich mir den ganzen Prozess nochmal angeschaut – und eingesehen: Hier ist alles falsch gelaufen. Ein Leitbild, das seinen Namen verdient, kann nicht zentral formuliert und dann zur Kenntnisnahme von „oben“ nach „unten“ durchgereicht werden. Ein Leitbild muss von allen Beteiligten gemeinsam entwickelt, erarbeitet, gelebt werden.  Stephen R. Covey*  hat (natürlich) recht: „Ein Leitbild ist nichts, was man über Nacht niederschreiben könnte. Es bedarf der tiefen Einsicht, sorgfältiger Analyse, überlegten Ausdrucks und oft vieler Fassungen, bis die endgültige Form erreicht ist. Es kann mehrere Wochen oder sogar Monate dauern, bis Sie sich damit ganz wohl fühlen, bis Sie spüren, dass Sie einen vollständigen und genauen Ausdruck Ihrer innersten Werte und Richtungen gefunden haben. (….) Der Prozess ist meiner Meinung nach so wichtig wie das Produkt.“ Habe ich verstanden.

Wir haben in der Folge eine interne AG eingerichtet, die aus MitarbeiterInnen aller Ebenen unseres Vereins besteht. Und in dieser AG haben wir beschlossen, einen Prozess in Gang zu setzen, der alle MitarbeiterInnen mitnimmt. Auftakt wird ein Workshop im Mai sein. Mit rund 25 bis  30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (die sich alle freiwillig gemeldet haben) werden wir uns in einem kleinen Tagungshotel ausserhalb Berlins „einschließen“ und uns –  angeleitet und moderiert durch den geschätzten Berater-Kollegen Thorsten Visbal – auf den Weg machen…..

Ich bin gespannt und schon sehr neugierig. Auf den Prozess und auf das Produkt.

* Stephen R. Covey: Die 7 Wege zur Effektivität

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Seit November 2013 schreibe ich wöchentlich an meinem “Geschäftsführer-Tagebuch”. Warum ich das tue, könnt Ihr lesen, wenn Ihr H I E R klickt. Ich freue mich, wenn Ihr die Beiträge interessant findet und Ihr sie über Eure Kanäle (Facebook, Twitter  und Co.) teilt und verbreitet!

12 Gedanken zu “Die Sache mit dem Leitbild

  1. ist ein Leitbild wichtig? In der Political Correctness World vielleicht..
    Ihr habe es ja auch 18 Jahre lang ohne geschafft… 😉
    in mehreren Firmen habe ich die „Freude“ gehabt mit deren Leitbildern in Kontakt zu kommen. Da konnte ich bei einigen fast die Tränen der Rührung nicht zurückhalten, wenn es um die Definition des sozialen Miteinanders ging. Bei einigen hätte ich glatt den Friedensnobelpreis vorgeschlagen – es hätte nur noch gefehlt, dass die Gewinne an die Armenküchen gespendet werden, weil man ja so altruistisch ist.
    Im realen Arbeitsleben sah das dann aber dann völlig anders aus. In den Firmen gab es eine Zweiklassengesellschaft von langjährigen Mitarbeitern mit Festanstellung und einem 30% höherem Gehalt – auf der anderen Seite standen dem eine fast doppelt so große Anzahl von Mitarbeitern mit unterbezahlten Zeitverträgen gegenüber (die auch nicht verlängert wurden – da es die strikte Anweisung der GL gab, nach Ablauf des zweiten Jahres keine Verlängerung zu erlauben) – passt das zum nach außen kommuniziertem Bild eines sozialen und alle Menschen gleich behandelndem Unternehmen?
    Ich sehe Leitbilder kritisch, weil Sie versuchen Mitarbeiter „gleich zu machen“. Dies ist meiner Meinung nach nicht möglich. Außerdem wird (nach meinen Erfahrungen) nach außen ein Weltbild vorgegaukelt, welches sich innerhalb der Firma nur begrenzt wiederfindet.
    Die Idee, ein Leitbild quasi in einer ‚Großveranstaltung‘ zu erschaffen ist interessant – ich bin gespannt, was da für Forderungen zum Leitbild kommen.

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    • Hallo Herr Awiszus,
      Sie beschreiben den GAU, den schlimmsten Fall, und wir alle haben ihn schon erlebt: Qualitätsmanagement (Niedergeschriebenes) und Wirklichkeit (Gelebtes) klaffen weit auseinander. Das QM wird dann zum lästigen Beiwerk oder – wie in dem von Ihnen beschriebenen Fall – zum zynischen PR Gag. Ja, in jeder Autowerkstatt steht „der Mensch im Mittelpunkt“ der Arbeit und das ist manchmal zum Lachen und manchmal zum Weinen (habe viel Erfahrung in der Altenpflege sammeln dürfen, zum Glück MEIST gute, leider nicht immer).
      All jenen, die sich trotzdem ein Leitbild wünschen, möchte ich zurufen: jetzt erst recht! Vor diesem Hintergrund haben wir eine gute Chance, als aufrichtig und relevant wahrgenommen zu werden. Wir dürfen eben nur nicht das von der Autowerkstatt kopieren.

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  2. Ich hab’ noch mal drüber nachgedacht, über für und wider eines Leitbildes.
    In manchem Unternehmen habe ich den Kampf zweier Kulturen erlebt. Die einen schwören auf Qualitätsmanagement, also auch beschriebene Prozesse und die Dokumentation ihrer Einhaltung. Die anderen verlassen sich lieber auf ihre Leute und darauf, die besten zu rekrutieren, zu halten und zur Teamarbeit zu befähigen (zu denen gehörte ich).

    Ich habe ein paar Jahre gebraucht um zu verstehen, dass dieser Kampf in etwas der Frage gleichkommt, ob wir lieber mit dem linken Bein gehen sollten, oder mit dem rechten. Heute weiß ich: am besten geht’s mit beiden.

    Wissensmanagement in Organisationen besteht aus beidem: aus der schriftlichen Beschreibung des Wissens, das beschreibbar ist: tägliche und relevante Abläufe, gemeinsame Standards, verbindliche Verabredungen. Und dann ist da noch – und auch das kennt jeder – das Know-How, das sich nicht aufschreiben, archivieren und wieder hervorholen lässt: die Erfahrung und Intuition des Einzelnen sowie die Teamfähigkeit und die Motivation aller.

    Das Erarbeiten eines Leitbildes gehört ins klassische (oft verpönte und unterschätzte, manchmal verhasste Qualitätsmanagement). Es ist wichtig, denn es bildet die gemeinsame Verständigungsgrundlage über Ausgangspositionen, Werte und Ideen (um nicht zu sagen Ideale). Wer sind wir, warum gibt es uns und wohin gehen wir. Nur wer das weiß, kann anderen das Angebot machen, darüber zu reden.

    Das Stadtteilzentrum Steglitz ist um den beschriebenen Weg zu beneiden (auch wenn er im Beitrag von Thomas Mampel augenzwinkernd geschildert wurde). Abgeschrieben, durchgefallen, neugestartet – und jetzt das Konklave. Nein, schlechter Vergleich, schließlich versammeln sich hier keine Kardinale, sondern Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Sichtweisen. Trotzdem: wir freuen uns schon auf weißen Rauch überm Tagungshotel. Dies wird nicht das Ende des Prozesses „Leitbild“ sein, sondern der Anfang.

    P.S.: Herr Mampel, der Bericht ist bald fertig, versprochen. In diesem Zusammenhang fällt mir auf, Ihr Blog ist wie eine Eckkneipe. Sonntags treffen sich hier Leute, die eines gemeinsam haben: sie sitzen am Wochenende am Computer und arbeiten. Irgendwie lustig. Vielleicht ein Thema für einen Artikel? Na denn Prost, alle zusammen.

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    • Das mit der „Eckkneipe“ gefällt mir und nehme ich mal als Kompliment für den / das Blog…. 😉
      Und: Ich stimme Ihnen zu! Das Leitbild „ist wichtig, denn es bildet die gemeinsame Verständigungsgrundlage über Ausgangspositionen, Werte und Ideen (um nicht zu sagen Ideale). Wer sind wir, warum gibt es uns und wohin gehen wir. Nur wer das weiß, kann anderen das Angebot machen, darüber zu reden.“…. Ein Satz, zum zitieren…..! Danke dafür.

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  3. Warum ist eigentlich ein Leitbild nötig? Mir schwebt dann immer so eine Leitkuh vor, die vorneweg tappelt und wo alle hinter ihr her dackeln. Wird der Nebel zu dicht, läutet die Glocke, wo es langgeht. Alternativ hängt das Bild der Leitkuh an der Wand…
    Was ich wichtiger als ein Leitbild, welches ich in den meisten Fällen als Kosmetik empfinde, ist: Wie ist die Haltung der Menschen? Sind sie achtsam? Sind sie wirklich menschenfreundlich? Oder steht das nur im Leitbild?

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    • Nun ja….. genau so habe ich jahrelang auch immer gedacht. Ein Leitbild war in meinen Augen immer eine „formale Pflicht“, die es zu erfüllen gilt, weil man z.B. irgendwelchen Anforderungen des QMS erfüllen will….. Ich habe gelernt, dass die Dinge anders sind. Ein gutes Leitbild ERSETZT die Leitkuh (um in Deinem Bild zu bleiben). „Gut“ meint hier: Alle MitarbeiterInnen finden sich wieder im Leitbild, es beschreibt umfassend und ganzheitlich, WARUM wir die Dinge tun, die wir tun; WIE wir die Dinge tun ….. und WOHIN wir wollen mit dem was wir tun…. Es geht um Werte, Prinzipien, Ziele und eine gemeinsame Mission. Wenn diese Dinge klar sind, haben wir einen Kompass zur Hand, der auch in stürmischen Zeiten hilft, die Segel richtig zu setzen. Ein gutes Leitbild bietet dann Orientierung und „praktischen Alltagshilfe“ …. und macht „Leitkühe“ (und solche, die sich in schwierigen Zeiten dazu selbst ernennen wollen) überflüssig….. Ich freu mich jedenfalls riesig, dass „meine“ MitarbeiterInnen an dem Punkt schon weiter waren als ich……!

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  4. Unternehmen der Sozialarbeit haben im Vergleich zu Organisationen anderer Branchen einen großen Vorsprung in Dialogfähigkeit und Transparenz. Eltern als Kunden von Kitas, Senioren als Nutzer generationsübergreifender Angebote und andere Interessensgruppen haben oft höhere Ansprüche an die Unternehmenskommunikation sozialer Einrichtungen, als an Anbieter klassischer Produkte. „Was macht mein Kind in der Kita?“ „Welche pädagogischen Konzepte gibt es, wie sieht der Alltag aus und wie kommen organisatorische Entscheidungen zustande?“ – diese oder ähnliche Fragen stellen Kunden nicht beim Kauf von Lebensmitteln, PKW oder anderen Gütern.

    Dieser hohe Anspruch an Sozialunternehmen trägt in sich die unternehmerische Chance, mit Kunden und anderen Interessensgruppen in einen echten und intensiven Dialog zu treten – für Unternehmen eine einzigartige Situation. Vorraussetzung für das Zustandekommen und Gelingen dieses Dialoges ist eine gemeinsame Unternehmensphilosophie, ein Leitbild, eine von allen zumindest grundsätzlich geteilte Idee. Identifikation spielt hierbei eine Schlüsselrolle.

    Im Stadtteilzentrum Steglitz gibt es Teamsprecher, die jederzeit die direkte Kommunikation zwischen Geschäftsführung und Mitarbeiterschaft gewährleisten. Dies wird ausdrücklich als sehr hilfreich, konstruktiv und einzigartig wahrgenommen (Zitat aus einem Teamsprecherworkshop). Mitarbeiter und Management im Stadtteilzentrum Steglitz folgen einem gemeinsamen Leitbild. Jetzt müssen sie es „nur noch“ formulieren.

    (Vorab aus einem gerade entstehenden Bericht über die Arbeit im Stadtteilzentrum Steglitz)

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