Corona – und die Sache mit der Eigenverantwortung

#umdenken

Das RKI meldete heute (11.12.2020) knapp 30.000 Covid-19-Neuinfektionen und fast 600 Tote innerhalb eines Tages. Die Politik möchte bis Weihnachten warten, um danach einen komplett-Lock-Down in Kraft zu setzen. Und viele Leute in meinem Umfeld sind unzufrieden, weil sie glauben, dass dieser Schritt zu spät kommt. Und gehen dann erstmal zum Weihnachtsshopping…… 

Die Lage unserer Geschäftstelle in der Nähe einer großen Berliner Einkaufsstraße bringt es mit sich, dass ich jeden Tag sehe, wie Menschen mit der aktuellen Corona-Situation umgehen: Volle Gehwege, lange Schlangen vor den Kassen der Kaufhäuser. Buntes Treiben vor den wenigen Glühwein- und Bratwurstständen. Menschen über Menschen – von Kontaktbeschränkung und Zurückhaltung wenig zu sehen. Gleichzeitig höre ich immer wieder, dass die Menschen Politik dafür kritisieren, dass der „Lock-Down-light“ nicht früher zu  einen „richtigen“ Lock-Down verschärft wurde, dass Politik die Situation falsch eingeschätzt habe und deshalb Schuld an der dramatischen Entwicklung der Infektionszahlen sei. Ich komme ins grübeln……

Ich sehe überall um mich herum Menschen, die sich nicht an die Regeln halten und die damit sich und – was schwerer wiegt – die Menschen um sich herum einem relativ unkalkulierbaren Risiko aussetzen. Warum unkalkulierbar?  Manche kommen leicht durch die  Corona-Infektion  (z.b meine Schwester) – bei anderem aus dem weiteren Bekanntenkreis stand das Leben trotz Versorgung auf der Intensivstation auf der Kippe.

Man könnte darüber diskutieren auf welcher Grundlage und aus welchen Motiven heraus die Regierung die geltenden Regeln formuliert –  in der Tat wirken nicht alle Regeln gut durchdacht,  (man braucht keine Boshaftigkeit unterstellen, wenn Unvermögen als Erklärung ausreicht).  Aber ich kann und muss für mich selbst Verantwortung übernehmen. Dafür brauche ich keine Regierung. Weil ich es mir Wert bin, weil die Menschen um mich herum mir das Wert sind…..Ich warte nicht auf den Lock-Down. Ich mache ihn mir.

Wann genau wurde eigentlich beschlossen, dass die Menschen alles tun müssen, was erlaubt bzw. (noch) nicht verboten ist? Wann genau wurde verboten, sich pro-aktiv und selbstverantwortlich zu beschränken? Wann genau erfolgte die Anweisung solange Glühwein zu trinken und gebratene Mandeln auf der Einkaufsstraße zu verzehren, bis es dann (endlich) verboten wird? Wer hat es uns untersagt, selbst Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen? Seit wann brauchen wir eine Anordnung von oben, uns solidarisch zu  besonders gefährdeten Menschen zu verhalten?

Ich selbst verzichte freiwillig auf Kontakte und Begegnungen, die nicht zwingend notwendig sind. Ich treffe mich nicht heimlich mit Freunden, verbringe die Abende gern in trauter Zweisamkeit mit Anke zu Hause und versuche mit mir wichtigen Menschen digital Kontakt zu halten. Berufliche Meetings werden natürlich – wenn irgendwie möglich – online durchgeführt. Bei analogen Besprechungen mit wenigen Menschen achten wir penibel auf Abstands- und Hygieneregeln. Wo HomeOffice machbar ist, machen wir HomeOffice möglich (leider geht das aus naheliegenden Gründen in vielen unserer Einrichtungen nicht so wirklich gut…… unsere Kita- oder Horterzieher*innen werden mir zustimmen 😉 ).  Es gibt keine allgemeingültigen Modelle, die für jede/n passen. Da muss man mitunter ziemlich viele unterschiedliche Modelle und Umsetzungsstrategien flexibel anpassen. ABER: Jede/r kann sich selbstverantwortlich richtig und verantwortungsvoll verhalten. Und bevor man über die schlechte Stimmung und die Genervtheit der Leute um sich herum meckert, bevor man auf die „Verantwortungslosigkeit“ der Politik schimpft, kann man sein eigenes Verhalten überprüfen und sich selbst neu ausrichten.

Ein paar Anregungen gefällig?

  • Jahr für Jahr beklagen wir uns über den Konsumterror zu Weihnachten. Purer Kauf- und Geschenkerausch……. Dieses Jahr könnten wir es anders machen. Einfach mal auf Geschenke verzichten und stattdessen versuchen, den Anlass und die Botschaft des Weihnachtsfests zu verstehen, zu spüren und zu geniessen…….. Schenk deinen Leuten Zeit, Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Wirkt tiefer als jedes Geschenk – und spart etliche Ausflüge in die Einkaufstempel.
  • Wenn Du Deine Eltern oder  Großeltern liebst, dann könnte es eine gute Idee sein, mit ihnen zu vereinbaren, Weihnachten diesmal etwas anders zu feiern. Lieber einmal ohne die ganze Sippe – statt unbedingt mit allen – dann aber vielleicht das letzte mal……
  • Wenn Du Bock auf Glühwein und Bratwurst hast, dann genieß beides: In einer dicken Jacke auf dem heimischen Balkon oder am offenen Fenster. (Grillen kann man übrigens ganz für sich alleine auch ganz gemütlich im Winter……. für Euch getestet 😉 )
  • Wenn es denn die Bratwurst auf der Straße sein muss, weil Du kurz vorm verhungern bist, dann spendier dem nächsten Obdachlosen, den Du siehst, auch eine. Und meinetwegen auch einen Glühwein. Die Wahrscheinlichkeit, dass Du einen siehst, während Du noch isst, dürfte in Berlin nahezu bei 100% liegen……
  • Wenn es dich nervt, dass die Menschen um dich herum schlecht gelaunt, unfreundlich und gereizt sind, dann versuch dich zu entspannen und schenke ihnen ein Lächeln. Und wenn sie dich dann blöd angucken, gleich noch eins.
  • Wenn Deine Mitarbeiter*innen oder Kolleg*innen im HomeOffice arbeiten wollen, dann tu alles, was in Deiner Macht steht, damit das möglich wird. Investiere in digitale Ausstattung – und vertraue darauf, dass deine Leute auch zu Hause ihr Bestes geben. Wenn Du glaubst, sie arbeiten nur „richtig“, wenn Du das vor Ort im Office kontrollierst, hast du ein ganz anderes Problem…..
  • Spende Geld,  wenn Du kannst. Es gibt soviele Projekte, die gerade jetzt besonders viel davon brauchen, weil sie sich um einsame Menschen und um besonders benachteiligte oder hilfs- und schutzbedürftige Menschen kümmern. Natürlich könntest Du auf die Regierung, den Senat schimpfen, weil er soziale oder kulturelle Projekte nicht ausreichend fördert. Bringt aber kurzfristig nichts. Also: mach Dich schlau, welches soziale Projekt in deiner Nähe sich gerade besonders engagiert und überweis  einen Betrag, den Du Dir leisten kannst……
  • So einige Leute, die ich kenne,  sparen im Moment eine Menge Geld und müssen es zu Hause oder auf dem Konto zins- und sinnlos bunkern, weil sie nicht mehr in Restaurants oder Kneipen, Bars, Clubs, Konzerte, Theatervorstellungen oder zu Tanzveranstaltungen  gehen können – denen kann geholfen werden! Überweis den Betreibern dieser Läden und Kultureinrichtungen  doch einfach mal 50,- oder 100.- Euro….  so ganz ohne Gegenleistung. Das könnte zu spannenden Erfahrungen und neuen interessanten  Beziehungen führen……

Die Liste könnte noch viel länger werden. Aber es geht ja nicht darum, Euch zu „überreden“. Und der eine oder die andere hat bestimmt noch viel spannendere Anregungen und Vorschläge, wie wir in diesem Zeiten durch vergleichsweise kleine Verhaltensänderungen großen Einfluss auf die Situation um uns herum nehmen können. (Schreibt sie gern hier in die Kommentare!).

Wenn jede/r von uns seine beste Seite zeigt kommen wir wahrscheinlich gut durch diese Zeit.

Und jede/r von uns hat eine beste Seite. Jede/r.

„Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ (Mahatma Ghandi)

17 Gedanken zu “Corona – und die Sache mit der Eigenverantwortung

  1. Auch meine vollste Zustimmung. Chapeau!

    Und die keine Anmerkung, , dass man Deine „Gebrauchansweisung für den Lockdown“ (das Achtpunkteprogramm) sicher auch im nächsten Jahr wieder anwenden kann, sogar ganz ohne Corona 🙂

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  2. Das der Egoismus höher wiegt als Rücksichtnahme und Verantwortung wissen wir doch eigentlich schon länger. Denken wir an die Rauchverbotsdiskussionen. Wozu ein Verbot wenn die Menschen eigenverantwortlich handeln und auf andere Rücksicht nehmen? Eben! Du musst es verbieten und bestrafen. Anders kann man Menschen nicht schützen.

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  3. Die Menschen werfen der Politik den Verzicht auf einen viel früheren Lockdown vor. Eigentlich beschweren sie sich darüber, dass ihnen die Verantwortung nicht bereits im November durch einen Lockdown abgenommen wurde: Dann wäre es viel einfacher gewesen, jetzt nicht shoppen zu gehen. – Mich erschreckt die hohe Zahl von Menschen, die offenkudig von ihrer Freiheit überfordert sind, deren vornehmstes Symptom es ist, Verzicht zu leisten.
    Ich kann nicht verhindern, dass mir jetzt ein Zitat von – angeblich – W. Churchill einfällt: „Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit einem ganz normalen Wähler.“ Wahrscheinlich ist das Zitat falsch, aber die Aussage muss deswegen nicht falsch sein.
    Manchmal ist es es offenbar verkehrt, den Menschen die Freiheit zu lassen – jedenfalls wenn das Leben der anderen als das Wichtigste betrachtet wird.

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  4. Ich fürchte nur, dass die, die am Glühweinstand stehen und Geschenke rauschhaft in übervollen Innenstädten kaufen, nicht die gleichen sind, die sich darüber beklagen, dass es keinen Shutdown gibt. Ich erlebe es, dass die gerne einen Shutdown wollen, die sich dieser Meute schutzlos ausgeliefert sehen. Von daher geht der Plan mit der Selbstverantwortung mal so gar nicht auf.

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    • in einer (nicht repräsentativen) Umfrage der rbb-Abendschau sagten 91% der Zuschauer*innen, dass sie für einen sofortigen harten Lockdown sind. Die anderen 9% sind dagegen….. es scheinen also nicht nur die Lockdown-Gegner auf den Einkaufsstraßen und an den Glühweinständen unterwegs zu sein…..

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      • Nicht repräsentativ, das sagt es doch eigentlich schon 😉 Bei solchen Umfragen gilt es doch zu Bedenken, dass sich eine Abendschau doch nur ein gewisses Publikum ansieht. Dann kommt dazu, dass sich zum Teil auf Umfragen nur ein bestimmter Teil meldet, der sich von der Umfrage angesprochen fühlt. Also nicht repräsentativ finde ich schon echt heikel.

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